RU 12/2007 - Christentum ohne Christus ?


- CHRISTENTUM: Nicht alles, was auf der Straße vor sich geht, erscheint in den Medien. Nachfolgend einige Notizen dieser Woche im Bordbuch von SOS MÜTTER (UNEC), eine gute Meditation für die liturgische Zeit der Passion Christi.

- Dienstag, 20. März 2007. Wir trafen 3 Schülerinnen (Annie, 18 Jahre, sowie Laurence und Catherine, Minderjährige) aus der gleichen Schule in der Provinz. Alle schwanger. Sie sind von zu Hause weggelaufen, da ihre Eltern ihre Babies abtreiben lassen wollen. Sie baten uns, ihnen zu helfen, ein Häuschen zu mieten, das sie 5 km von ihrer Schule entfernt gefunden haben, um ihre Babys austragen zu können: die Gesamtmiete ist 150 E pro Monat, plus 2 Monatsmieten als Garantie, also insgesamt 450 Euros. Wir gaben ihnen sofort die erbetene Summe, allerdings mit der Bitte um die Empfangsbestätigung des Eigentümers, da dieses Haus uns später, nach der Geburt der 3 Babys, noch für andere Mütter nützlich sein könnte. Außerdem gaben wir jeder von ihnen 100 Euros, um ihr neues Leben als junge Mütter, die zur Schule gehen, zu beginnen. Wir werden uns wieder einmal klar, daß diese sehr jungen Mütter die besten Verteidiger ihrer Babys sind: erfindsam, entschlossen und klug. Es genügt, ihnen ein klein bischen zur Seite zu stehen. - Wenn wir hören, daß es in einer Region im Zentrum von Frankreich mehrere 'Pro-Life'-Vereine gibt, aber ' keiner von deren Mitgliedern sich um eine Unterkunft für die Mütter in Not sorgt', sind wir entsetzt. Gehen sie wirklich auf die Strasse, um die armen oft verzweifelten Mütter aufzufinden? Werden sie wirklich aktiv? Retten sie wirklich Babys? Sie sollten sich sagen, daß es ohne Kampf und Leiden keinen Sieg gibt! Wir sind nur 3 Aktive in der SOS MÜTTER-Gruppe von Paris, wir sind Ehrenamtliche, und wir beherbergen ständig 10 bis 15 schwangere Mütter, entweder in unseren eigenen Studios, die wir unter dem Namen unseres Mutterverbandes UNEC mieten konnten, oder in befreundeten Herbergsfamilien in der Normandie, im Burgund oder an der französischen Riviera, und sogar in Belgien. - Ein weiterer Bericht, den wir gerade aus Deutschland erhielten, erklärt, daß sie in Bayern ein Prolife-Lebenszentrum eröffneten, mit 'Bürgersteigberatung' vor den Abtreibungsinstituten. Zusätzlich haben sie noch ein Büro in einer Straße von München, lassen sie Messen lesen, führen sie Prozessionen durch und beten sie Rosenkränze auf der Straße. All dies mithilfe von 2 Angestellten und 2 ehrenamtlichen Teilzeitpersonen. Ergebnis: 'Wir nehmen an, daß dank unserer Aktionen wenigstens eine Mutter pro Woche ihr Baby behält anstatt es abtreiben zu lassen, bei einer Gesamtzahl von 15 Abtreibungen pro Tag in München'. An anderer Stelle in demselben Bericht wird zugegeben: 'Was die Suche von Unterkünften für die Mütter in Notsituation betrifft, sind wir zu wenig aktiv.' Damit ist viel gesagt. - Ein Bericht aus der Schweiz ist noch aufrichtiger: 'Bei 3 Kontakten mit Müttern, die an Abtreibung denken, retten wir vielleicht nur ein Baby.' Wir sind entsetzt. 'Vielleicht'? Mit unserer winzigen Gruppe retten wir fast 2 Babys pro Woche (50 bis 80 Babys pro Jahr). Wir hatten NIE eine Abtreibung, sobald einmal ein echter Kontakt mit der Mutter hergestellt ist. Wir würden das als einen grauenhaften und für uns praktisch anannehmbaren Mißerfolg ansehen. Wir würden es nicht wagen, uns im Spiegel anzusehen. Weil wir das Baby WIRKLICH retten wollen, und mit dem Baby die Mutter ! Springt man ins Wasser, um einen Ertrinkenden zu retten, ohne ihn WIRKLICH aus dem Wasser ziehen zu wollen, was immer es kostet? Kann jemand ein Baby retten, ohne notfalls tief in sein Portemonnaie zu greifen, ohne seine kostbare Zeit zu vergeben, ohne WIRKLICHE Aufmerksamkeit und Sorgfalt, ohne Bereitstellung eines Zimmers in seiner eigenen Wohnung für eine oder zwei Nächte für diese junge Mutter, wenn dies notwendig ist? Ist es möglich, Müttern in Abtreibunsgefahr sozusagen mit der linken Hand Ratschläge zu geben, ohne mehr zu riskieren? Machen wir uns nicht über diese kleinen Mütter lustig, wenn wir ihr Problem wie eine normale Angelegenheit regeln wollen, mit kühlen Programmen und Prozeduren wie in der Industrie, sozusagen mit natürlichem oder sogar übernatürlichem Marketing, ohne dass man sein eigenes Leben riskiert oder seine eigenen Gewohnheiten umstösst? Kann ich Babys von 14 Uhr bis 16 Uhr retten? Verstecken wir nicht unser bequemes Ego hinter stolzen Vereinsstrukturen und -koordinationen ('vereint sind wir stärker'), wobei wir vergessen wollen, daß wir es mit einer schrecklichen persönlichen Schlacht zwischen Leben und Tod, zwischen Gutem und Bösem, Licht und Schatten, Gott und Satan, zu tun haben, eine Schlacht, die unser totales und endgültiges Engagement fordert? Bei SOS MÜTTER haben wir keine enorme Strukturen wie unsere Freunde in Bayern: sie haben ein Zentrum, bezahlte Angestellte, Gebetsvigilien mit Hunderten von Leuten, die von einem Bischof 'präsidiert' werden, usw. Man könnte die Frage stellen: brauchen wir all das, um das Leben eines kleinen Kindes zu retten? Oder noch tiefer gefragt: haben wir Christen schlicht die persönliche Liebe verloren? Sind wir nicht mehr in der Lage, eine Mutter in Krise zu erkennen? Sind wir so sehr in unseren Elfenbeinturm - oder unseren Vogelkäfig bzw.unser Weihwasserbecken - geflüchtet, daß wir unseren Nachbarn nicht mehr leiden sehen, und erst recht nicht die junge - zumeist minderjährige - Mutter auf unserem Pfad, die verzweifelt dabei ist zwischen Leben und Tod zu entscheiden, die oft sogar in einer unentwirrbaren Situation an Selbstmord denkt? Sind wir nicht mehr fähig, ein einfaches Wort wie dieses auszusprechen: "Ich werde Ihnen helfen, liebe Frau", oder "Fräulein, wir helfen Ihnen", indem wir unsere Hand sachte auf ihren Arm legen? Ist es dazu notwendig, Prozessionen zu veranstalten, Vigilien abzuhalten, Zentren mit bezahlten Angestellten, einen Bischof, einen Kardinal zu bemühen? - Wenn man den Mut aufbringt, diese Fragen zu stellen, versteht man, daß unser Europa nicht mehr christlich ist: weil die christliche Liebe ausstarb! Und insbesonders versteht man, daß die neue Mission Europas hier anfangen muss, an den Wurzeln, auf dem Pfad des Guten Samariters. Diese Mission kann Jahrhunderte beanspruchen, wie die erste Mission Europas; wir werden nicht darum herumkommen, auch nicht in der 'göttlichen Heilsökonomie'. Also in Gottes Namen, beginnen wir heute noch diese Mission ! Fangen wir wieder an, zu lieben, wie Jener es tat, der uns bis in den Tod geliebt hat! 'An diesem Zeichen werden sie erkennen, daß Ihr meine Jünger seid... ' - Und wenn wir in Bezug auf diesen herausfordernden Aufruf zur Nächstenliebe noch ein Stückchen weitergehen? Die Kirche singt gerade an diesem Kardonnerstag: 'Ubi Caritas, ibi Deus est' - wo die Liebe ist, da ist Gott. Und mit Bestürzung kann man das auch anders sagen: ' Ubi Caritas non est, ibi Deus NON est!' Ein Christentum ohne Christus? Die Kirche wie ein riesiger Konzern, der ohne Jesus funktioniert? Katholiken auf der dem Sohn Gottes entgegengesetzten Seite? Aber wo ist dann Jesus? 'Was Ihr dem geringsten meiner Brüder tut, das habt Ihr Mir getan', 'Ich war hungrig, und Ihr habt Mich nicht genährt', 'Ich weinte, und Ihr habt Mich nicht getröstet'... Gott versteckt sich im Herzen der Armen. Von dort kann man verstehen: nicht wir helfen den Armen, nicht wir retten die Verzweifelten, nein, es sind die Armen, die uns von uns selbst wegretten, die uns Gott zeigen, die es uns ermöglichen, Gott zu dienen, uns mit Ihm sozusagen durch das 'Sakrament der Liebe' zu vereinigen. In Wahrheit sind SIE die Reichen, und wir die Armen. 'Wenn Ihr nicht werdet wie die kleinen Kinder, könnt Ihr nicht ins Himmelreich eintreten.' Die Bank und der Schatz der Christen, das sind die Armen, die Kranken und die Hungernden. Die Investition des Guten Samariters, das ist der Halbtote in der Schlucht. Die Verrücktheit der Gläubigen ist das Kreuz Jesu. Es ist genau das Gegegenteil von der Welt. Aber wir 'Christen' stellen uns vor, den Armen zu helfen zu können, die Babys vor der Abtreibung zu retten, den verzweifelten Müttern zu begegnen, indem wir uns hinabbeugen, von unserem Überfluss etwas weggeben, mit der linken Hand etwas erledigen, in 'Teilzeit' Gutes tun. Das Gegenteil wäre notwendig. Wir müssten uns zu ihnen aufrichten, um ihre Hilfe bitten, um endlich unser gutes Geld auf christliche Weise loszuwerden, von ihnen lernen, was es heisst, OFFEN zu werden, auf das GOTTESREICH zu warten, auf GOTT zu warten. Um von ihnen zu lernen, was es heisst, klein zu werden, Diener zu werden, Gefolterte, Gekreuzigte, mit einem Wort, wie Jesus zu werden. Wir werden keine Abtreibung vermeiden, wenn wir nicht selbst in Schmerzen kommen und uns nicht bis zum späten Abend abhetzen, um eine passende Unterbringung für die junge verzweifelte Mutter zu finden, mit ihr bis an den Eingang des Hades zu gehen, bis hin zu unseren eigenen Tränen und unserer eigenen tiefsten Not: 'Eli, Eli, lama-sabactani?' - So bleibt uns nur noch dieses Gebet: 'Gott, habe Mitleid mit unserer miserablen Art, uns vorzumachen, Christen zu sein; verzeihe uns, seit 2000 Jahren so wenig verstanden zu haben; rette uns aus unserer Selbstsüchtigkeit; gestalte uns um in Apostel der Liebe; mache uns zu Deinen wahren Jüngern; nimm uns an Dein Kreuz; helfe uns, uns selbst zu vergessen, damit DU für uns ALLES IN ALLEM wirst, und wir selbst nichts! Am Kreuz hängend fragt man sich nicht mehr, ob dies nützlich, effektiv oder vernünftig ist. Man bittet, mit schwacher Stimme, um Wasser für den Durst. So verstehen wir, bei SOS MÜTTER, das Evangelium des Guten Samariters, oder mit anderen Worten, 'den Prolife-Kampf' !

- Freitag, 23. März 2007. Diese Woche trafen wir auch Celine, 22 Jahre alt, 1 Monat schwanger, AIDS. Wir begegneten ihr im Treppenhaus eines Pariser Gebäudes. Sie wurde bei einer oberflächlichen Beziehung von einem Drogensüchtigen angesteckt. Celine denkt an Abtreibung, um das Baby nicht zu infizieren. Wir riefen sofort unseren medizinischen Berater an, einen Arzt, der vor einem Jahr in Pension ging und somit jederzeit für uns frei ist. Er erklärte uns, daß es in diesem Fall für das Baby kein Problem gibt! Es sei sogar notwendig, daß Celine ihre Medikamente zur Bekämpfung der Krankheit weiterhin einnähme (1 Tritherapie-Spritze pro Woche), damit das Risiko einer Infektion des Babys bei der Geburt und später weitmöglichst reduziert werde. Während der eigentlichen Schwangerschaft gebe es kein Problem für das Baby: die Plazenta sei ein absoluter Schutz gegen die Krankheiten der Mutter und setze das Baby praktisch ausser Ansteckungsgefahr. Es war notwendig, dies Celine zu erklären, weil das medizinische Personal es heutzutage nicht mehr wagt, die Wahrheit zu sagen, aus Angst, bei der gerinsten falschen Indikation oder dem kleinsten Mißerfolg vor Gericht gezogen zu werden. Celine nahm dies bereitwillig an. Sie schlief zwei Nächte in der Wohnung unserer Helferin, dann müssen wir mit ihr zusammen eine solidere Lösung finden. - Noch eine Begegnung: Carine, 20 Jahre alt. Sie entdeckten wir in einem Pariser Bus - und sprachen sie direkt an: sie vergoß jene geheimen Tränen, die man nur sieht, wenn man den Mut hat, sie zu sehen. Sie lebt etwa 80 km von Paris entfernt. Sie ist schwanger und beinahe Waisenkind: ihr Vater verschwand spurlos nach der Scheidung; ihre Mutter treibt sich mit verschiedenen Männern herum und interessiert sich nicht für ihre Tochter. Es ist anscheinend ein Vetter, der sie schwanger machte. Inzest treffen wir in erschreckender Weise immer mehr an. Wir gaben ihr 60 Euros, weil wir nicht mehr Bargeld dabei hatten. Das Baby ist gerettet, Gott sei Dank. 'Vater, in Deine Hände empfehle ich meinen Geist'. - Ende der Meditation über die Passion. - (ru)

 

 

- - O.A.M.D.G. - -